Brief des Satsang-Lehrers und Mystikers Benares auf die Frage eines seiner Schüler
Frage: Viele spirituelle Lehrer und Therapeuten sagen: ohne Verarbeitung des Traumas kann kein Frieden stattfinden. Meine Frage an Dich: kann ich ohne Trauma-Arbeit zu Ruhe kommen und meinen Frieden finden?
Antwort Benares: Ich finde solche Aussagen, dass Friede nur möglich ist, wenn das Trauma bearbeitet ist, sehr bedenklich und auch den Traumatisierten verhöhnend und ausgrenzend. Die einzige Aufgabe, die Lehrer haben ist: ehrlich zu sein, wahr zu sein. So eine Aussage ist nicht wahr. Ich würde es demnach genau anders herum sehen als die von Dir genannten Lehrer:
Traumabearbeitung ist ohne einen gewissen Frieden gar nicht möglich.
Wenn Du Dich jahrelang unter Druck setzt und unter Druck setzen lässt, Dein Trauma bearbeiten zu müssen, ist dieser Druck noch einmal wie ein zusätzliches Trauma. Zuerst sollten wir diesen Druck von Dir nehmen, den Du Dir und den andere Dir mit solchen Aussagen und Ansätzen auferlegen. Ansonsten kommst Du gar nicht an das eigentliche Trauma heran. Dass zuerst Trauma-Bearbeitung stattfinden muss, um zum Frieden zu kommen, ist eine sehr oberflächliche Aussage. Im ersten Moment sieht es so aus, als würde das Sinn machen. Bei genauerem Hinschauen aber ist dies eine zynische und laienhafte Aussage, welche dem vom Trauma Betroffenen nicht gerade hilft.
Das Entdecken der Spiritualität, des Friedens mit Dir selbst und der Welt, ist auch mit Trauma möglich, für jeden, wenn er offen dafür ist. Oft ist das Entdecken Deiner/der Spiritualität sogar die einzige Möglichkeit, um mit einem Trauma, besser gesagt, mit den Folgen des Traumas leben zu können und vielleicht sogar wieder so etwas wie „heil sein“ zu erfahren. Manche Menschen kommen sogar erst durch ein Trauma zur Spiritualität, so komisch, wie sich das anhört, so häufig ist das doch.
Da ich nicht genau weiss, was Du und diese Lehrer als Frieden bezeichnen, kann ich dazu nichts sagen. Ich kann Dir aber soviel sagen:
Jedes Menschenwesen ist schon alleine durch seine Geburt in diese Erscheinungswelt auf die eine oder andere Art traumatisiert. Und sein ganzes Leben dreht sich, meistens unwissentlich, darum, dieses Trauma aufzulösen. Es folgt sozusagen den Mustern des Traumas. Im Leben selbst finden zusätzliche Traumen statt. Manche sind so einschneidend, dass das Leben, wie es „vorher“ war, nicht mehr möglich ist. Vom Zeitpunkt der im Leben geschehenen Traumatisierung wünscht sich der/die Traumatisierte nichts anderes, als dass es nie passiert sei, als dass es doch wieder wie vorher wäre.
Das ist sehr gut zu verstehen. Bevor ich aber nun eine Traumabearbeitung (was und wie immer das auch sein soll….) angehen kann, muss zuerst der Druck, dass es wieder wie früher sein soll, dass ich wieder gesund sein muss, dass dies wieder ungeschehen gemacht werden muss, dass Vergeltung geschehen muss usw… vom betroffenen Menschen genommen werden. Und dazu sollten Lehrer da sein: zuerst zu helfen, den Druck vom Betroffenen zu nehmen. Das ist ganz wichtig, nein: das Wichtigste überhaupt. Den Druck des Denkens, den Druck des Müssens, den Druck des Gesundwerdens, den Druck, falsch zu sein, den Druck, sich zu rächen, bevor Friede einkehren kann, usw….
Zuerst sollte also ein gewisser Friede mit dem Trauma geschlossen werden. Die Liebe hat mir ein Trauma geschickt. Wenn ich nur dagegen ankämpfe, wird wohl nur selten eine sogenannte Heilung stattfinden, oder ich werde die Heilung gar nicht erkennen, weil ich mit Kämpfen beschäftigt bin. So sollte also zuerst eine gewisse Akzeptanz gegenüber dem Trauma selbst möglich sein. Das hört sich ebenfalls komisch an, ich „weiß“, jedoch ist meist das der Weg. Denn was ein schockiertes, traumatisiertes Wesen unbedingt wissen muss, ist, dass ein Trauma und meist auch die Symptome des Traumas, gerade, wenn es sehr einschneidend und tiefgehend und verstörend war, je nach dem nie gänzlich aufgelöst werden kann. Genauso wenig, wie Du den Eindruck Deiner ersten großen körperlichen Liebe vergessen kannst, genauso wenig kann ein Trauma vergessen, ungeschehen gemacht werden. Ein gewisser Friede kann aber trotz Trauma entstehen, wenn ich mir diese Sichtweisen ebenfalls eingestehe.
Der Körper zeigt vielleicht ein Leben lang Symptome, welche dem Trauma zuzuschreiben sind. Vielleicht fühlst Du Dich unlebendig, nicht hier, getrieben, schwindelig, angstvoll usw… Vielleicht wird dies den Rest Deines Lebens immer wieder auftauchen, vielleicht täglich, vielleicht stündlich. Und dann? Lehrer, Gurus, Therapeuten, Ärzte müssen dazu da sein, Dir zuerst die Wahrheit zu sagen.
Diese Wahrheit sollte dazu führen, dass Du mit dem, was Dir vom Leben auferlegt wurde, mehr oder weniger in Frieden kommst. Ein Verunfallter kann z.B. erst verarztet werden, wenn er im Schock nicht davonrennt oder um sich schlägt. Er muss sich also zuerst der Lage stellen, damit Hilfe angesetzt werden kann. So ist mein Appell an Dich, und an alle Lebewesen dieser Erscheinungswelt: zuerst musst Du aufhören, Dich verrückt machen zu lassen und auch Dich selbst verrückt zu machen, damit Du Dich den Verrücktheiten des Lebens überhaupt stellen kannst.
Hör auf, Dein Trauma weg haben zu wollen, zu müssen. Hör auf, Dein Leben zu verleugnen, so, wie es sich zeigt. Hör auf, ständig nach Hilfe zu suchen und die Hilfe Deines eigenen Herzens zu missachten.
Hör auf, dem Leben davonzurennen auf ein Leben zu, dass es nur in Deinen Wünschen, in Deinem Kopf gibt. Hör auf, wissen zu wollen. Hör auf, Dich unheil zu fühlen, auch wenn dies gerade im Angesicht eines Traumas fast unmöglich scheint. Hör auf, zu glauben. Hör auf, es besser haben zu wollen. Hör auf, zu glauben, dass Friede für Dich nicht möglich sein kann. Fang an, dem Leben zu begegnen, so, wie es sich zeigt: mit Trauma, mit Schock, mit Verletzungen, mit den Möglichkeiten und Begrenzungen Deines Menschseins. Das ist Friede. Das ist Liebe. Und dann ist alles möglich, selbst die Bearbeitung eines Traumas……….falls es dann überhaupt noch nötig sein sollte.
OM, in Liebe, Benares
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