Das DJ-Ding

Die Tätigkeit eines Discjockeys (DJ) ist bei weitem nicht so glamourös wie manch einer glauben möchte. Wie in vielen anderen Künsten ist es nur einigen, wenigen Auserwählten vorbehalten davon zu leben bzw. richtig gut zu verdienen. Auch das Flirt-Potential ist durchaus begrenzt. Bei den meisten Tanz-Events ist der DJ der Erste wo kommt, wenn noch keiner da ist und der Letzte wo geht, wenn alle schon weg sind. Dazwischen sind die Kontaktmöglichkeiten ziemlich beschränkt, weil es rund um den DJ ziemlich laut sein kann und dieser schließlich seinen Job anständig und konzentriert machen muss. Wenn der Abend nicht läuft, ist schließlich der DJ verantwortlich.

Von vielen Leuten wird die musikalische Gestaltung einer Tanz-Party weder als Job noch als besonders kreativer Ausdruck angesehen Dabei ist es natürlich eine Kunstform das tanzbereite Publikum die ganze Nacht mit ausgewählter Musik in Ekstase zu versetzen. Wenn dies geschieht, ist alles gut. Der DJ macht sein Ding und ist im Flow mit der wogenden und glücklichen Meute. Wenn’s mal nicht so läuft, mehren sich meistens die Publikumswünsche und das kann mitunter obskure Formen annehmen. Die meisten Kontakte während eines Events gestalten sich dann schließlich aus irgendwelchen frustrierten Kommentaren, die dem DJ aufdringlich zu verstehen geben, er sollte doch mal „was anderes“ oder lauter oder leiser auflegen.  Manchmal fühlt sich der DJ auch mal fehl am Platz, wenn zu einem angekündigten Oldies-Abend lediglich das übliche, jugendliche HipHop Publikum auftaucht und er sich bei einem Klassiker der Rolling Stones wirklich böse Blicke und eine gähnende Tanz-Fläche einfängt. Richtig schlimm wird es aber erst, wenn er so selbstverliebt ist, dass er die gelangweilten Gäste zu den Verursachern der schlechten Stimmung erklärt, indem er z.B. übers Mikro erklärt: „Hey Leute! Das ist eure Party!“

Bei mir ging es etwa mit 13 Jahren los, dass ich zu den ersten Partys als Plattenaufleger engagiert wurde. Damals bestand die Herausforderung darin, den Bogen von den Rock-Klassikern zu den neuesten Wave Sachen zu spannen und damit die jugendlichen Partygäste zu überzeugen. Aber natürlich auch den Bogen von wilden Rock-Songs wie z.B. „Gamma Ray“ oder „Radar Love“ zu den Eng-Tanz und Knutsch-Nummern wie „Je t’aime“ (Oh oui, je t’aime) oder „Samba Ba Ti“ zu spannen. Alles zur richtigen Zeit eben. In den 80ern waren es dann vor allem die Afro-Music Partys in der Rosenheimer Vetternwirtschaft, in denen ich mich regelmäßig und individuell als DJ austoben konnte. Den Höhepunkt dieser Phase bildete das legendäre Sommer-Fest 1989 mit etwa 800 begeisterten Gästen. Dabei habe ich insgesamt nur ein paar Mal vor knapp 1000 Leuten aufgelegt. DJ zu sein war meistens einfach nur ein weiteres Hobby von mir, das natürlich mit meiner Liebe zur Musik und dem kindlichen Bedürfnis andere Menschen mit meinem Sound anzutörnen, zu tun hatte. Meine Tapes waren bereits in frühen Jahren sehr beliebt und selbst heute lasse ich es mir nicht nehmen, einmal im Jahr eine CD-Compilation für Kunden, Freunde und Fans zusammenzustellen, die seit 2002 immer kurz vor Weihnachten in meinem AURA Verlag erscheint und gratis verteilt und versendet wird. Oft drückt sich in diesen Compilations allerdings mehr meine Liebe zur britischen und skandivanischen Jazz-Szene aus, was nicht in allen Fällen unbedingt sooo tanzbar rüberkommt. Zurück also auf die Tanzfläche, die leider in der Corona Phase ziemlich leer blieb. In den 90igern waren es erste Diskotheken und Clubs in und um Rosenheim, wenngleich die Pausen zwischen den Events, wegen anderen Prioritäten, oft zu groß waren und der Durchbruch zum etwas gefragteren DJ noch etwas auf sich warten ließ. In den Nuller Jahren mehrten sich die Engagements in angesagten Clubs neben den häufiger werdenden und manchmal anstrengenden Auftritten an diversen Hochzeiten. Der Mittwoch in Oscars American Bar gehörte bereits seit zwei Jahre zu meinen festen Buchungen, als mich Christine kontaktierte, ob ich mir vorstellen könnte, einmal im Monat im Bad Endorfer Kulturraum aufzulegen unter dem Motto „Come & Dance“ – schuh- und rauchfreies Abtanzen!

Es gab eine Zeit, da mischte sich das DJ-Ding sogar in meine Träume. Meistens allerdings auf eine sehr verwirrende Art und Weise. Zum Beispiel kannte ich plötzlich im Traum keine der Platten in meiner Sammlung mehr. Ich hatte etwa 200 LP’s zur Auswahl, aber alle Songs und Interpreten waren mir völlig unbekannt. Da kann man schon ein wenig ins Schwitzen kommen. Ein anderes Mal gehorchte mir die Technik nicht mehr und jeder Schalter oder Regler hatte plötzlich seinen eigenen Kopf, was zu einem heillosen Durcheinander führte. So ähnlich wie manch alter VW-Käfer früher, bei denen beispielsweise mit der Betätigung des Scheibenwischerhebels bei Dauerregen lediglich die Heizung ansprang, den ganzen Sommer über nicht mehr ausging und schon gar nicht mehr regulierbar war. Da kommt man schon mal ins Schwitzen. Natürlich sind auch in der Realität schon einige Pannen passiert, aber irgendwie hat man es dann immer wieder doch hingekriegt den Gästen ein ordentliches Tanz-Event zu servieren.

In München gab es die Freitänzer-Szene schon etwas länger. Man richtete sich mit regelmäßigen Partys an eine tanzfreudige Zielgruppe aus der kreativen und spirituellen Zielgruppe zwischen 22 und 77, die keine Lust hatte in Diskotheken zu gehen. Mit der monatlichen „Come & Dance“ Veranstaltung in Bad Endorf brachten wir dieses Tanz-Ding ins Chiemgau und das knallte ziemlich rein, so daß wir bald schon Gäste wieder heimschicken mussten, weil der Laden zu voll war. Hier konnte sich der DJ in mir endlich mit einem eigenen Setting und einem angenehmen Publikum austoben. Bald schon brauchten wir also mehrere Abende im Monat und unterschiedliche DJ‘s um die hohe Nachfrage befriedigen zu können. Andere Pioniere nahmen sich ein gutes Beispiel und gründeten ihren eigenen Tanzpalast, wie beispielsweise der Freiraum in Rosenheim, der bald schon eine ebenso starke Instanz für diese Szene in Südostbayern wurde. Schließlich hatte auch diese Zielgruppe auf dem Land eine gute Auswahl für den wöchentlichen Tanzausflug, bis Corona bzw. die Bestimmungen der Bundesregierung, die ganze Club-Szene komplett lahm legte. Ich selbst hatte mich nach dem Erfolg des Come & Dance Projekts wieder etwas zurückgezogen und beschränkte mich mehrere Jahre auf durchschnittlich einen Event monatlich. Damit war zugleich mein Bedarf an Nachtleben abgedeckt mit kostenlosen Drinks und dem Sound meiner Wahl. Irgendwann hatte ich einfach keine Lust mehr gehabt eine Arbeit am Wochenende daraus zu machen.

Im besten Fall geschieht an solchen Abenden ein bewegter Austausch von Ekstase. Dann brummt die volle Tanzfläche und der DJ erfreut sich eines guten Flows. Schließlich werden dann auch die lästigen Stimmen weniger, die „etwas anderes“ hören wollen. Und wenn, dann muss eben ein Wink auf die begeisterte Tanzfläche genügen um frustrierte Lästerer zu beruhigen oder abzuwimmeln. Früher war’s mal ein Traum dieses DJ-Ding zu machen. Inzwischen habe ich mich mit dieser Tätigkeit schon einigermaßen ausgetobt in der Realität. Die verwirrenden Albträume ließen mit der Zeit auch langsam nach.

Vismay Georg Huber,
Das ABC eines hoffnungslosen Individualisten, erscheint voraussichtlich 2022