Waren es vor einigen Jahrhunderten die Wissenschaften, die bewirkt haben, dass wir unsere Verbindung mit dem Geist unserer Ahnen aus den Augen verloren haben, so sind es heute die modernen Wissenschaften, die uns die Verbindung mit unseren Ahnen wieder näher bringen, allen voran die Epigenetik. Sie erforscht ob Erfahrungen vererbbar sind und wenn ja, über wie viele Generationen hinweg. Die Ergebnisse sind beachtenswert. Sie zeigen, dass sich das, was unsere Vorfahren vor vier Generationen erlebt haben in unserem Erbgut niederschlägt. Erfahrungen von Stress, Hunger, Armut, Gewalt, des Verlustes und der Niederlage – all das ist in unserer Genetik gespeichert.
Gefühle der Schuld, Scham und Angst bis hin zu Sprachlosigkeit schalten und walten in uns und erzeugen Stimmung. Zumeist glauben wir, dass wir es sind, weil wir uns mit allem, was wir denken und fühlen, identifizieren. Doch das ist ein großer Irrtum. Vieles von dem, das uns belastet, stammt von den Erfahrungen unserer Vorfahren. Dieses Erbe beeinflusst unser Leben und oftmals behindert es, dass wir in unsere ganze Kraft kommen, dass wir unsere Potenziale entfalten und das Leben mit einer größeren Leichtigkeit und Zuversicht meistern.
Im Volksmund heißt es: Die Zeit heilt alle Wunden. Doch das ist nicht ganz richtig. Ja, es wächst Gras über die Wunden, doch darunter sind die Narben weiterhin da. Ein Trauma entsteht, weil etwas passiert, dass so überwältigend war, dass ein Mensch völlig überfordert ist und es nicht verdauen kann. Ein hochintelligenter Mechanismus im Nervensystem bewirkt, dass ein gewisser Teil eingefroren, abgekapselt und weggeschaltet wird. Menschen, die solch ein traumatisches Erlebnis hatten, haben in ihrem System viel Stress, können aber sich selbst und auch andere nicht mehr richtig spüren. Auf diese Weise fühlt sich ein Mensch isoliert und getrennt vom Leben. Er zieht sich zurück, fühlt sich einsam oder ist überreaktiv.
Der Mechanismus hat sich über Jahrtausende hinweg entwickelt und dient als Schutz, um das Überleben zu sichern. Doch wenn diese Abkapselung, diese innere Starre nicht wieder aufgelöst wird, verfestigt sie sich und diese traumatischen Erfahrungen wiederholen sich von Zeit zu Zeit. Diese Traumatisierungen unserer Vorfahren werden weitervererbt. Die meisten Menschen nennen das dann in ihrer Lebenssituation ihre Blockaden, ihre Schwierigkeiten, ihre Probleme, Überforderung, bis hin zu körperlichen Problemen und Krankheiten. – ohne je selbst ein Trauma in ihrer Lebensbiografie erfahren zu haben, denn die Trauma-Übertragung durch unsere Vorfahren blieb bislang meist unbemerkt.
Von der Genetik wissen wir, dass ein Großteil unserer DNA scheinbar unlesbar ist und somit keinem Zweck dient. So wird diese nicht-codierte DNA auch als Müll-DNA bezeichnet. Aber mal ehrlich. Die Natur produziert keinen Müll. Vielmehr enthält unsere DNA ein enormes Reservoir an Informationen über die gesamte Geschichte unserer Evolution. Dazu gehört auch die codierten Erinnerungen der Entwicklung unserer Spezies und auch die Verläufe der anderen Spezies, aus denen wir uns heraus entwickelt haben. Ich bin mir sicher, das wird sich in den kommenden Jahrzehnten noch herausstellen. So gesehen ist es auch richtig, wenn wir sagen, dass jeder von uns die karmischen, hologenetischen Erinnerungen unserer Vorfahren, deren Träume und Taten in sich gespeichert hat. Diese Informationen leben tief in unserem Unterbewusstsein, bewegen sich durch unsere Träume und beeinflussen unser Denken, unsere Entscheidungen und Handlungen.
Anzeichen für ein ererbtes Trauma sind z.B.:
1. Immer noch auf der Flucht
Anzeichen hierfür sind, dass sich Menschen rastlos und getrieben fühlen und oft müde und erschöpft sind. Sie fühlen sich nirgendwo heimisch. Es fällt ihnen schwer, Wurzeln zu schlagen und oft wechseln sie den Wohnort oder/und den Arbeitsplatz. Sie haben das Gefühl nicht angekommen zu sein in ihrem Leben.
2. Frauen mögen ihren Körper nicht
Frauen können ihre Weiblichkeit nicht genießen, mögen ihren Körper, ihre Rundungen nicht. Vielleicht hat die Mutter als Kind einen Missbrauch erlebt, oder ist gar vergewaltigt worden. Sexualität ist ein schwieriges Thema; es erfüllt die Frauen nicht. Sie sind viel im Kopf und spüren sich oft selbst gar nicht.
3. Voller Angst
Die schmerzvollen Erfahrungen von Flucht, Vertreibung und Bombenangriffen haben ihre Spuren in unseren Genen hinterlassen. So träumen Menschen mit einem ererbten Trauma öfters vom Krieg, obwohl sie ihn nie erlebt haben. Da sind Ängste, die sie sich nicht erklären können und sie machen sich viele Sorgen und hatten vielleicht auch schon Panikattacken.
4. Gestörte Beziehungen
Die Verbindung zur Herkunfts-Familien ist auf verschiedenen Ebenen gestört. Es gab in der Kindheit kaum Körperkontakt, auch keine liebevollen Zuwendungen und Zärtlichkeiten. Der Kontakt zu den Geschwistern ist abgebrochen und die Beziehungspartner wechseln oft. In einer Beziehung sind sie überangepasst, verleugnen sich, halten oftmals viel zu lange ihren Mund, um ja die Beziehung nicht zu gefährden. Wahrscheinlich gab es auch existenzialle Brüche wie schwere Krankheiten, Trennungen und Verluste.
5. Schwierige Kommunikation
Die Kommunikation mit den Eltern war immer schwierig. Zumeist wurde nur über Banales gesprochen. Die Beziehung zu den Eltern liegt auf Eis oder ist sehr schwierig. Es gibt wenig Kontakt zu den Eltern, vielleicht auch zu den Geschwistern. In der Kindheit wurden diese Menschen von den Eltern nicht wahrgenommen.
6. Wenig Gefühle, viel Kopfkino
Ihre aus den Kriegserlebnissen resultierenden Gefühle haben die Eltern abgespalten. Für Befindlichkeit und Gefühle gab es in dieser Generation keine Zeit. Gefühle der Liebe, Traurigkeit, Freude und Wut wurden in Schach gehalten, bloß nicht zu viel davon. Heute fühlen sich diese Erwachsenen öfters grundlos traurig und von Zeit zu Zeit überkommt sie ein Gefühl der inneren Leere. Wie hinter einer Nebelwand sind sie ohne Orientierung, wissen meist nicht, was sie wirklich brauchen und wollen. Es gab auch immer wieder depressive Phasen in ihrem Leben.
7. Auf Leistung getrimmt
Gute Leistungen erbringen, das war ein Garant dafür, dass man gesehen und geliebt wurde. Besonders in Flüchtlingsfamilien war das ein Zeichen, dass es den Eltern gut ging. So haben sich diese Kind immer bemüht, den elterlichen Ansprüchen zu genügen. Oftmals waren sie in den Augen ihrer Eltern nie gut genug. Heute sind sie Perfektionisten, können verschiedene Projekte parallel machen und geraten dabei immer wieder an die Grenze zum Burnout.
8. Mangelnde Selbstfürsorge
Die Eltern waren in Sachen Selbstfürsorge keine positiven Vorbilder. So kümmern sich diese Menschen immer zuerst um alle anderen, bevor sie an sich denken. Viel zu selten nehmen sie sich eine Auszeit. Wenn sie einmal nichts tun, haben sie ein schlechtes Gewissen. Eigentlich wissen sie gar nicht, wie Nichtstun und Muse haben geht. Immer wieder gehen sie über ihre körperlichen und psychischen Belastungsgrenzen hinaus. Um eine neue, lebenswertere Welt zu gestalten, dürfen wir in unseren eigenen und den kollektiven Schmerz unserer Vorfahren eintauchen. Vieles unserer Vergangenheit wurzelt in Gewalt und Angst. Und vieles haben wir versucht, um die Programmierung in unserem „alten“ Gehirn zu überwinden. Doch solange wir uns der Verarbeitung unseres individuellen und kollektiven Schmerzes nicht zuwenden, solange bindet er uns unbewusst an die schmerzhafte Vergangenheit und wir schreiben diese weiter in die Zukunft fort und hinterlassen das Unerlöste und Unverarbeitete unseren Nachkommen. Daher lohnt es sich einmal innezuhalten, sich seiner Herkunft und dem damit verbundenen belastenden Erbe zuzuwenden und sich all dem zu stellen.
Bianka Maria Seidl, www.biankaseidl.de, info@biankaseidl.de