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Das Grauen auf unseren Tellern
„Es gibt keine Kriege. Es gibt nur einen Krieg, der seine Form ändert.“ (Jiddu Krishnamurti)
„Robert geht das Bolzenschussgerät holen. Als er sich der Sau nähert, versteht sie das nur als Zeichen, das sie hier wegmuss. Sie stemmt sich auf die Vorderbeine, schleppt ihre zweihundertfünfzig Kilo ein paar Meter weiter und sackt keuchend in sich zusammen. Robert drückt sie gegen die Wand und schießt ihr in den Kopf. Sie fällt um und krampft. Da klingelt sein Handy. Er zieht es aus der Tasche. ‚Hallo‘. Das Telefon zwischen Schulter und Ohr eingeklemmt, sticht er der Sau das Messer tief in den Hals.“
Diese Begebenheit, die Lina Gustafsson in ihrem Buch „Die Schlachthaus-Tagebücher“ schildert, zeigt exemplarisch, wie emotionslos und beiläufig Schweine in Schlachthöfen zu Tode gebracht werden. Wer das Buch liest oder besser: durchleidet, versteht auch, wie es zum Effekt der Abstumpfung bei jenen Mitarbeitern kommen kann, die ihre Arbeitsstelle nicht rechtzeitig verlassen. Die schwedische Veterinärin Gustafsson verließ den Schlachthof nach wenigen Monaten — 85 Werktagen — und dokumentierte auf 234 Seiten, was sie dort erlebt hat.
Gerade in der relativen Nüchternheit ihrer Beschreibungen gehen diese an die Nieren. Das System, dem sich Lina Gustafsson entzogen hat — aus einem Entsetzen heraus, das Vernunft und Pragmatismus letztlich nicht niederkämpfen konnten —, bestehe weiter. Auch wenn die Zustände auf den Schlachthöfen je nach Zeitepoche und Land differieren und auch, wenn sich die Techniken der Tötung und Fleischbearbeitung wie auch die jeweiligen Tierschutzverordnungen ändern — das Grundprinzip bleibt gleich.
„Je besser ich die Arbeit kennenlerne, desto mehr wundere ich mich darüber, dass viele so lange an einem Ort aushalten, an dem die hauptsächliche Tätigkeit darin besteht, dabei zuzuschauen, wie Tiere in den Tod getrieben werden“, resümiert die Autorin. „Diese Gewalt, Tristesse und Monotonie. Aber es stimmt schon: Die Kollegen sind nett.“
Schlachthöfe sind offensichtlich ein Ort, der denen, die ihn als berufliches Betätigungsfeld gewählt haben, starke Nerven abverlangt. Man könnte annehmen, dass nur eine sehr geringe Anzahl von Menschen dazu bereit wäre. Allein in Deutschland arbeiten jedoch etwa 150.000 Menschen in der fleischverarbeitenden Industrie.
Das geht nicht ohne eine Haltung, die die Tiere radikal verdinglicht. Gustafssons Buch dokumentiert nur die letzte Phase im traurigen Leben der Schweine — von der Ankunft in überfüllten Lastwägen bis zum Tod und zu ihrer Verwandlung in konsumierbare Stücke Fleisches. Wegen der Vielzahl der pro Tag zu „bearbeitenden“ Schlachttiere muss alles schnell gehen. Treiber helfen deshalb schon mal mit einem Plastikpaddel nach, wenn die Schweine kein Tempo machen.
Nach der Aussortierung der ungeeigneten „Kandidaten“ durch den Veterinär kommen die als tauglich identifizierten Tiere in die Bukina, eine Anlage, wo sie mit CO2 betäubt werden. Es folgt der Vorgang der „Entblutung“. Die bewusstlosen Schweine werden mit den Hinterbeinen nach oben aufgehängt und von spezialisierten Mitarbeitern wie am Fließband abgestochen.
„Dann nimmt er ein Messer, sticht ihm von hinten in den Hals und schneidet in Richtung Brust. Blut schießt aus der Wunde. Das Schwein krampft, es wird von Zuckungen geschüttelt, krümmt und dreht sich und hebt dabei fast vom Boden ab. Das Ganze dauert eine Minute, wobei das Blut bei dem wilden Tanz des Körpers auf dem Betonboden in alle Richtungen spritzt — auf die Laderampe, an die Wände und bis in die Buchten.“
Die Autorin fasst zusammen: „Das ist der Ort, wo Leben zu Tod, Tier zu Produkt wird.“ Von welchen Mengen an getöteten Schweinen muss man ausgehen? Lina Gustafssons Buch lässt dies nur erahnen. Eine Stichprobe gibt sie aber: „Ein Display zeigt die Anzahl der getöteten Tiere an: ‚Uhrzeit: 8.20. Anzahl geschlachteter Tiere: 512. Tagesprognose: 3100’“. An anderer Stelle schreibt sie über ihre Aufgabenstellung als Schlachthof-Veterinärin: „Meine Anwesenheit soll sicherstellen, dass bis zum 24. Dezember 180.000 Schweine geschlachtet werden.“ Der Schauplatz des Schlachthof-Tagebuchs ist Schweden. Ich nenne hier trotzdem eine Zahl für Deutschland, weil diese für unsere Leser interessanter sein könnte. Laut statistischem Bundesamt wurden allein im Jahr 2024 44,6 Millionen Schweine geschlachtet.
Jeder Messerstich in einen Schweinehals ist — so routiniert er auch ablaufen mag — eine Einzelentscheidung, die der Stechende auch anders hätte treffen können.
Neben dem ohnehin grausamen „Normalfall“ gibt es in diesem Gewerbe noch eine Reihe besonderer Härten. Dazu gehören die häufigen Krankheiten der Tiere — von Zysten über Bisswunden bis hin zu Lungenentzündung und Krebs. Das Grundprinzip ist: „Schweine, die krank im Schlachthof ankommen, werden sofort getötet.“ Ihr Fleisch wird nicht verwendet, was aber keine Frage des Tier-, sondern des Verbraucherschutzes ist. Natürlich passieren bei all dem Fehler.
„All die Schweine, die lahmen oder unter Schmerzen leiden – es sind einfach zu viele, und es geht alles viel zu schnell, als dass wir sie einzeln aussortieren und töten könnten.“
13,6 Millionen Schweine jährlich werden in Deutschland getötet, ohne hinterher gegessen zu werden. Selbst wenn man also den Verzehr eines Koteletts wegen des damit verbundenen Gaumenkitzels als sinnvollen „Verwendungszweck“ der Lebewesen ansieht, muss konstatiert werden:
Auf drei verzehrte Schweine kommt mehr als eines, das völlig sinnlos gestorben ist, weil es den Vertretern der Esser-Spezies nicht mehr gut genug war. Und zwar, nachdem es wegen der ihr von dieser Spezies aufgezwungenen Lebensbedingungen krank geworden war.
Weggeworfen wie ein Haufen ausgetrockneter Brezen, die am Ende des Tages in der Bäckerei nicht verkauft worden waren.
Zu den Routinen gehören auch einige unappetitliche Vorgänge nach der Tötung der Tiere. Etwa das Abschneiden der Hoden und die Entnahme der Organe, die mit einem klatschenden Geräusch in eine Metallschüssel geworfen werden. Des Weiteren auch der alltägliche Umgang mit dem Kot der Tiere, der im Schlachthof eine allgegenwärtige Geruchskulisse bildet. Die Autorin, die gepflegtere Milieus gewohnt war, ist davon auch zunächst befremdet:
„Die Bündchen meiner weißen Jacke sind rosa. Schon gleich zu Anfang lief mir das Blut über die Handgelenke. Die Ärmel sind von Kot besprenkelt, der herausspritzte, als in einen Darm wegwarf.“
Därme nämlich werden zu einem besonderen Zweck bearbeitet. Sie dienen dazu, die zerhackten, fein gewürzten Schweine-Körperteile schützend zu umhüllen. Man nennt das Wurst. Hierzu müssen die dem geschlachteten Schwein entnommene Därme von innen sorgfältig gereinigt werden. Der Kotgeruch begleitet Schlachthofmitarbeiter ständig, ebenso wie die allgegenwärtigen Blutflecken und -Lachen.
Die Reduktion eines Lebewesens auf die Essbarkeit seiner Körperhülle stellt die ultimative Form der Entwertung und Funktionalisierung dar.
Der Fleischkonsum lebt von der Idee einer schier unbegrenzten Überlegenheit und wesensmäßigen Andersartigkeit des Menschen gegenüber Tieren. Hierzu wurden im Lauf von Jahrhunderten passende Narrative entwickelt. Der Mensch allein habe zusätzlich zu seiner Körper- und Gefühlsdimension und zur Lebenskraft auch noch ein „Ich“, das sich seiner selbst bewusst ist. Er bewohne als einzige Lebensform eine „Noosphäre“ (einen Bereich der Gedanken und des Wachbewusstseins) und so weiter.
Diese Narrative werden gestützt durch die Tatsache, dass wir in die Innenwelt von Tieren nicht wirklich eindringen können. Im Zweifelsfall weisen wir ihnen größtmögliche Primitivität, uns selbst dagegen größtmögliche Kultiviertheit und Subtilität zu. Dabei ist die Spezies, der im Ergebnis der größte Wert zugemessen wird, identisch mit jener, die wertet. Spätestens hier sollten uns zumindest Zweifel an der Objektivität unserer Einschätzung kommen. Die Vorstellung, es mit einem weitgehend wert- und empfindungslosen Tierreich zu tun zu haben, erleichtert ja ganz offensichtlich den Verzehr mit gutem Gewissen. Gerade Besitzer von Haustieren könnten aber von der Empfindungsfähigkeit ihrer Mitbewohner berichten. Sie werden diesen auch intrinsischen — also aus sich heraus bestehenden — Wert zugestehen. Das im Umgang mit Katze und Hund Erlernte — dass in diesen Tierkörpern nämlich „jemand“ wohnt, ein empfindungsfähiges Wahrnehmungssubjekt — wird schnell vergessen, wenn es zum Beispiel um Schweine geht, denen wir nur anonym und stückweise in Plastik verpackt begegnen.
Obwohl Lina Gustafsson den Tieren immer nur für kurze Augenblicke begegnet, spürt sie durchaus Persönlichkeit und das Lebenslicht in ihnen. „Die Haut von Schweinen und Menschen ähnelt sich so sehr, dass man Tierversuche zum Schmerzempfinden der Haut an Schweinen durchführt“, schreibt sie über die Frage der Menschenähnlichkeit. „Den wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge tut eine Wunde, die mir wehtun würde, auch ihnen weh.“ Und über ihre Fähigkeiten, Emotionen zu empfinden:
„Wenn ich ihre Panik im letzten Treibgang sehe, frage ich mich oft, was sie ahnen, was sie sehen. Sie sind so sensibel, spüren sofort den Stress der anderen und auch unseren. Je näher sie der Butina kommen, desto mehr Widerstand leisten sie. Studien haben gezeigt, dass ein Schwein schnell begreift, was ein anderes Schwein gerade eben gelernt hat, und dass sie sehr stark von dem emotionalen Zustand ihrer Artgenossen beeinflusst werden.“
Der Tierschützer und Autor John Robbins zitiert in seinem Buch „Ernährung für ein neues Jahrtausend“ Untersuchungen, die belegen, dass „die höheren säugenden Wirbeltiere über eine mindestens ebenso ausgeprägte Schmerzempfindung verfügen wie wir selbst. (…) Ihr Nervensystem ist fast identisch mit unserem, so wie auch ihre Reaktionen auf Schmerz bemerkenswert ähnlich sind.“
Wie geht die Veterinärin Gustafsson selbst mit der emotionalen Belastung um, die die Mitwirkung am Schlachthofbetrieb für sie darstellt? Ziemlich am Anfang ihrer Tätigkeit musste sie als zuständige Vorgesetzte Unterschriften leisten, die zur Folge hatten, „dass die Tiere zur Schlachtung freigegeben sind“. Anfangs hatte sie Skrupel: „Es gibt mir einen Stich: Das habe ich angeordnet.“ Sie spürt, „dass die Naivität ganz allmählich von mir abfällt. Das hat etwas mit dem Tempo zu tun, mit der schieren Menge, mit meiner eigenen Kleinheit im Angesicht dieses gigantischen Systems“.
Immer wieder versuchen Tiere in ihrer Gegenwart zu fliehen oder weigern sich, in Richtung ihres Todesorts weiterzugehen. Das Ergebnis ist immer: Ihr Wille wird gebrochen, am Ende des oft herzzerreißenden Ringens steht der Tod.
„Ich bleibe ein paar Sekunden dort stehen und sehe ihm bei seinen verzweifelten Fluchtversuchen zu. Dann gehe ich auf die Toilette und weine.“
Manchmal tröstet sich Lina Gustafsson damit, dass sie helfen konnte, die letzte Lebensphase der Schweine würdevoller zu gestalten, indem sie dafür sorgt – durch Einhaltung aller Tierschutzvorschriften.
„Dann wieder lähmen mich Schuldgefühle, weil ich hieran beteiligt bin. Trauer und Selbstverachtung fließen ineinander. Vor Müdigkeit kann ich oft nicht einmal die Zeit bis zum Ende des nächsten Tages überblicken.“
Doch die Zweifel, das Entsetzen weichen im Lauf der Zeit der Gewöhnung. „Ist das ein Zeichen der Abstumpfung? Die Schmerzen und Schicksale einzelner Individuen vermischen sich, und die Schuld wird so einförmig und schwer, dass man einfach alles verdrängt.“
Die Autorin macht sich den Widerspruch bewusst, der darin liegt, dass sie bei rüden Schlachthofmitarbeitern einen sanfteren Umgang mit den Schweinen anmahnt, die ohnehin Tage oder Stunden später getötet werden. Sie muss erleben, „wie ein lebendiges Wesen, das ich eben noch vor Schlägen zu schützen versucht habe, sich in einen anonymen Gegenstand verwandelt, in den ich mein Messer hineinsteche“. Übrigens betrifft dieses Dilemma alle Bemühungen um „Tierwohl“ im Zusammenhang mit dem Tierverzehr.
Letztlich muss Lina Gustafsson die Vergeblichkeit ihres Aufbegehrens gegen die eingespielten Abläufe des Tötungsapparats einsehen. Sie zieht sich auf eine Haltung zurück, die stellvertretend für viele Menschen steht, die „abschalten“, weil sie mit einem sie völlig überfordernden Grauen konfrontiert sind: „Ich wage nicht, es anzusprechen, stehe einfach da und versuche, unberührt auszusehen.“
Die Veterinärin war in den wenigen Wochen ihrer Anwesenheit nie etwas anderes gewesen als ein Fremdkörper. Mit dem Dienstantritt und den damit verbunden schrecklichen Erfahrungen war der Abschied nur eine Frage der Zeit. Schwerer nachzuvollziehen ist die Mentalität langjähriger Schlachthofmitarbeiter. Wie halten die das aus? Zunächst ist da wohl eine Portion Phlegma und Dickfelligkeit festzustellen. Ein Schlachthof-Arbeiter gibt an, den Job schon 18 Jahre lang zu machen. „‚Dann gefällt es dir?‘ ‚Tja‘, sagt er und zuckt mit den Schultern. ‚Was soll man machen?‘“ Der Mitarbeiter Sven gibt sogar an, 38 Jahre „dabei“ zu sein. „Ich habe mit sechzehn angefangen“. Sein Lebenswerk summiert sich zu vielen Tausend getöteten Schweinen auf. Eine weitere Mitarbeiterin sagt: „Manchmal muss man einfach wegschauen. Und akzeptieren, dass man nicht alles verändern kann.“
Das Fleisch schmeckt mir. Ich brauche das für den Muskelaufbau. Ohne Fleisch fühle ich mich nervös und kraftlos. In meinem Kulturkreis gehört Fleisch dazu. Ich möchte mich im Familienkreis nicht zum Außenseiter machen. Ich lasse mir von dir doch kein schlechtes Gewissen einreden. Du hast mir nicht vorzuschreiben, was bei mir auf den Teller kommt.
Leider muss man zu den routiniert oder aus Unachtsamkeit begangenen Fällen von Tierquälerei jene hinzurechnen, die blankem Sadismus entspringen. In jener grell erleuchteten Schattenwelt, nicht einsehbar für den gewöhnlichen Menschen, gedeihen Verbrechen, für die sich kein Kläger und kein Richter findet — begangen an Lebewesen, um die es „nicht schade“ ist und die sowieso nicht mehr lange zu leben haben. Lina Gustafsson erzählt:
„Eins der Schweine kann den Transporter nicht verlassen. ‚Wir müssen es erschießen‘, sage ich. Robert holt schnell das Bolzenschussgerät. Er schießt, stößt das Schwein mit dem Fuß um und schlitzt ihm den Hals auf. ‚So, da konnte ich ja einmal das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden‘, sagt er lächelnd in meine Richtung, während Blut auf die Seitenwände des Lastwagens spritzt. ‚Was?‘ Er lacht. ‚Na, ich bin doch Jäger‘.“
Die Jagd ist ein dunkles Kapitel, das jenes der Schlachthöfe quasi zu einem vollständigeren Bild ergänzt. Sie genießt noch immer das Image eines Outdoor-Abenteuers, das den Praktizierenden das Zeugnis naturwüchsiger Lebenstüchtigkeit ausstellt.
Dabei ist es der Grundsatz der Jagd, dass man der Natur niemals freien Lauf lassen kann. Wildverbiss droht, wenn zu viele Rehe in einem Revier ihr Unwesen treiben. Das ökologische Gleichgewicht, einmal vom Menschen gestört, kann nur durch den Menschen einigermaßen wieder hergestellt werden: durch Töten.
In Fernsehfilmen sieht man nicht selten das idyllische Bild eines auf einer Lichtung lauschend den Kopf hebenden Rehs. Dann schiebt sich ein Gewehrlauf ins Bild. Ein Schuss löst sich, das Reh bricht zusammen und verendet zuckend. Dem Zuschauer wird klar: Es war nicht einfach nur ein Reh, das schön anzuschauen ist und mit dem man als Mensch in einen freundlich-neugierigen Kontakt treten könnte. Es handelt sich um ein Speisereh, dazu bestimmt, dass man es wie eine reife Tomate in Stücke schneidet und in den Mund schiebt. Oder es starb schlicht, weil es sich erdreistet hatte, an Baumrinden zu knabbern — nicht wissend, dass auch diese Bäume ein Wirtschaftsfaktor sind und dem menschlichen Profit zu dienen haben.
Da „Wild“, also zum Beispiel Rehe, Hirsche, Wildschweine, Hasen und Fasane, für die Ernährung des Menschen schon lange nicht mehr unabdingbar sind, hat sich ein Wildwuchs der Tiertötung als Sport und zum Vergnügen herausgebildet. Der Lustfaktor vermischt sich mit rationalen und scheinrationalen Gründen für das Jagdwesen zu einem schwer entwirrbaren Knäuel.
In Lina Gustafssons Buch wird auch ein Rückgang der Zahl der Tötungen angedeutet. Früher seien in der Schlachtanlage 720 Schweine pro Stunde ums Leben gebracht worden, heute — zum Entstehungszeitpunkt des Buches — seien es 480 pro Stunde gewesen. „Tja, die Nachfrage ist gesunken.“ Aus dieser Beobachtung resultiert Hoffnung. Die Anzahl der Vegetarier soll von 2016 bis 2023 laut einer Statistik von 5,29 auf 8,12 Millionen Menschen gestiegen sein. Die Zahl der Veganer erhöhte sich von 0,80 auf 1,52 Millionen. Freilich würde ein Versiegen der Nachfrage nach Fleisch dazu führen, dass Millionen Schweine, anstatt nach einem furchtbaren Leben einen furchtbaren Tod zu erleiden, gar nicht erst geboren würden. Sie verdanken ihre Existenz ja heute allein einem Faktor: ihrem guten Geschmack aus der Perspektive der Menschen.
Sicher scheint: Der Trend „vegan“ oder auch „vegetarisch“ ist eher im ökosozial gesinnten urbanen und gebildeten Milieu angesiedelt.
Gerät die Bewegung in Misskredit, weil sie in den Augen der Esser für einen in ihren Augen unsympathischen Symptomkomplex steht — Impfzwang, Cancel Culture, Gendern, Klimakleber, Antifa-Aufmärsche —, dann droht das Kind „Bewussteres Essen“ mit dem Bade „Links-Grün“ ausgeschüttet zu werden.
Warum aber nicht gegen mRNA-Impfungen sein und gleichzeitig mit Reinhard Mey empfinden: „Ich möchte nicht, du armes Schwein an deinem Leid mitschuldig sein“?
Gewiss kann der performative Edelmut mancher Fleischverächter nerven, und gewiss kann das in Dauerschleife vorgetragene Narrativ der rülpsenden Kühe als ultimative Klimakiller angezweifelt werden — aber in dieser Frage müssen wir tun, was vielen noch immer schwerfällt: von uns selbst abzusehen.
In einem System, in dem zwei Gruppen von Lebewesen aufeinandertreffen, ist es fair, nicht nur die Interessen der essenden Spezies zu berücksichtigen, sondern auch jener, die gegessen werden.
Gerade mit Blick auf die weiter oben beschriebenen Schlachthof-Zustände wäre das nur allzu legitim. Wir sind berechtigt und auch dafür verantwortlich, uns unsere ganze eigene Mischung aus Weltanschauungen und Lebensweisen zusammenzustellen. Wir müssen nicht eine ganze politische Richtung „en bloc“ übernehmen, eine andere pauschal abwerten. Manchmal ist es vorzuziehen, auch zu „alternativen“ Denk- und Verhaltensgewohnheiten die Alternative darzustellen.
Roland Rottenfußer, www.manova.news