Täter auf dem Richterstuhl

Wenn dieselben Personen unmittelbar von der Anklagebank auf den Richterstuhl wechseln, kann man sich ausmalen, wie das Urteil ausfallen wird: „Nicht schuldig!“ Ein zweites Mal würden so die zahlreichen Opfer verhöhnt, und nichts stünde einer zweiten Runde bei diesem bösen Spiel im Weg. Echte Aufarbeitung ist jedoch nur möglich, wenn die totalitären Strukturen, die uns das alles eingebrockt haben, aufgedeckt und die Verantwortlichen ohne Ansehen der Person schonungslos zur Rechenschaft gezogen werden.

Vier Jahre lang konnte man sich durch den auch nur zaghaft öffentlich vorgebrachten Wunsch nach „Aufarbeitung“ als ganz besonders schlimmer Schlingel outen: als einer jener gefürchteten, von Staat und Propaganda eifrig geschmähten „Verschwörungstheoretiker“ beziehungsweise (ab August) „Querdenker“ beziehungsweise (ab Dezember) „Coronagegner“ beziehungsweise (ab irgendwann) „Verschwörer“ beziehungsweise (dann auch noch) „Staatsdelegitimierer“.

Weil, so hieß es: Da sei nichts „aufzuarbeiten“, schließlich befinde man sich in der grausigsten Gesundheitstodeskillerwellenhölle aller Zeiten und werde sich höchstens „viel zu verzeihen“ haben, hinterher, wenn der Krieg gegen das Virus gewonnen, das Bruttosozialprodukt der gesamten Menschheit auf das Konto von drei bis fünf „wohltätigen“ Stiftungen und Konzernen transferiert sei und „Zero Covid“ als Leitbild einer neuen Epoche einen neuen Menschen geschaffen habe, der dank zweimal jährlicher Einspritzung von Nobelpreis-Genmedizin in eine leuchtende Zukunft und den Krieg gegen die slawisch-asiatische Bedrohung marschiere. Und so weiter.

Blöd gelaufen, könnte man sagen. Blöd nämlich, dass das Magazin Multipolar die Sitzungsprotokolle der RKI-Geheimkonferenzen herausklagte und veröffentlichte und dafür von den Staats- und Propagandamedien eifrigst als „rechts“ bemeckert wurde — zum Teil wohl aus purem Neid, weil eben dies ja in wenigstens noch scheindemokratischen Zeiten genau deren Aufgabe und ganzer Stolz gewesen wäre. Blöd, dass wir nun wissen: Alles, was da an Schrecken an die Wände geschmiert wurde, um das bekanntermaßen leichtgläubige deutsche Gevölk zu hysterisieren, war Humbug, Bogus, kurz gesagt und wie gesagt: ein Schwindel. Seit dem Tag, an dem dies niemand mehr leugnen konnte ist „Aufarbeitung“ plötzlich total modisch und in aller Munde.

Selbstverständlich müsse all dies „aufgearbeitet“ werden, tönt noch das kleinste Viertelhirn mit Ministerrang. Aber — und das wird stets im nächsten Nebensatz „betont“ und „unterstrichen“ — ebenso selbstverständlich ohne Beteiligung der Opfer oder auch nur irgendwelcher halbwegs kompetenter Fachleute. Nein, nein: „Aufarbeiten“ tun wir, die Täter, gefälligst selbst, und, so krähte der vielstimmige Chor, um „Schuldzuweisungen“ dürfe es dabei auf gar keinen Fall gehen.

Das ist logisch. Stellen Sie sich vor: Sie kommen abends nach Hause und ertappen im Wohnzimmer einen Einbrecher, der soeben den Inhalt der Schmuckschatulle in seine Arbeitstasche umdisponiert. Kämen Sie jemals auf die Idee, die Polizei zu rufen, damit es zu einer Verhaftung und eventuell sogar — hinterher vor Gericht — einer „Schuldzuweisung“ käme?

Nein, „aufgearbeitet“ wird selbstverständlich nur von den Tätern, die dabei tunlichst unter sich bleiben, und die ersten Ergebnisse sind ja auch bereits registriert. Von sämtlichen Dächern der Republik zwitschern die staatstragenden Spatzen des Regimes den immer gleichen Spruch: „Insgesamt sind wir gut durch die Pandemie gekommen!“

Manchen Querulanten reicht dies aber nicht. Die wollen mehr, weil sie, wie man so sagt, Morgenluft wittern. Gnädig beugt sich das Regime, verspricht noch mehr „gnadenlose“ oder was weiß ich was für eine „Aufarbeitung“ und macht sich ans Inszenieren — unter der bekannten Prämisse: keine Beteiligung der Opfer, kein Wühlen im Stinkdreck, keine „Schuldzuweisungen“ und auf keinen Fall — um den Haupttäter und Rädelsführer Spahn zu zitieren — einen „Querdenkergerichtshof“!

Nein, es wurden keine „Fehler“ gemacht, nicht „überreagiert“ — nicht einmal reagiert, sondern ausschließlich agiert — und erst recht nicht „übertrieben“ oder „übers Ziel hinausgeschossen“. Im Gegenteil: Der historisch beispiellose Versuch, eine ganze Bevölkerung dazu zu zwingen, sich gentechnische Brühe in den Körper spritzen zu lassen, scheiterte im Bundestag, und einzelne, mit Restvernunft begabte Richter hatten schon zuvor hier und da Urteile gegen den Wahn gesprochen — wofür sie und ihre Gutachter gerne mal mit terrorstaatlichen Repressalien überzogen wurden. Aber letztlich ist festzustellen: Das „Corona“-Regime in seinem ganzen Irrsinn konnte nirgendwo so totalitär durchgesetzt werden, wie die Täter das eigentlich vorhatten. Nicht einmal in Deutschland.

Sollen wir dann vielleicht das Dritte Reich auch noch schnell aufarbeiten, solange noch ein paar greise SS-Schlächter und Wehrmachtsmörder herumrollieren, die das gerne unter Ausschluss der Öffentlichkeit erledigen — Fazit: „Wir sind gut durch die jüdische Weltverschwörung und den Krieg gekommen“? Sollen wir künftig generell Richter, Staatsanwälte und Nebenkläger von Strafprozessen ausschließen, um bei Mord und Totschlag tüchtig „aufarbeiten“ zu können?

Nein, Aufarbeitung: ohne mich! Wir können gerne über „Corona“ und die unter diesem — Verzeihung — blöden Schlagwort verübten Menschheitsverbrechen reden, aber sicher nicht zuerst mit den Tätern und Mitschuldigen, und schon gar nicht dürfen wir uns von denen den Mund verbieten und ihren aufgekochten, giftigen Schmarrn noch einmal servieren lassen.

Wir hatten das ja so ähnlich schon mal: Nach dem Zweiten Weltkrieg und vor allem Ende der Sechzigerjahre wollten auch alle möglichen Leute was „aufarbeiten“ — wofür man ihnen Parolen wie „Geht doch nach drüben!“ und „Unter Hitler hätte man euch vergast!“ entgegenbrüllte. Am Ende holte Uschi von der Leyens Papa als Ministerpräsident von Niedersachsen die Originalnazis aus dem gesellschaftlichen Abseits direkt zurück in die Ministerien.

Es kann in einem totalitären Staat keine „Aufarbeitung“ geben, ohne das Gerüst, die Strukturen, die Mechanismen und die Grundfesten des Totalitarismus selbst zum Thema zu machen, ohne das totalitäre System zuallererst zu überwinden.

Und wenn schon die Täter nicht belangt, ja nicht einmal genannt werden sollen, darf davon selbstverständlich erst recht keine Rede sein. Es konnte 1965 in Ostberlin keine „Aufarbeitung“ der Stasi geben, 1590 keine „Aufarbeitung“ der Hexenverfolgung, 1620 keine „Aufarbeitung“ des Dreißigjährigen Kriegs, 1942 keine „Aufarbeitung“ der nationalsozialistischen „Machtergreifung“, und es kann 2024 keine „Aufarbeitung“ des „Corona“-Regimes geben. Nicht bevor auch dieses endgültig, total und hoffentlich nachhaltig erledigt und vorbei ist. Möglichst ohne großen Krieg diesmal, bitte.

Und dann werden wir — und nicht die — nicht etwa „auch“ über die Täter und die systemischen Ursachen reden, Schuld zuweisen, Schuldige benennen und Ursachen aufzeigen müssen, sondern ausschließlich das tun. Und uns nebenbei ehrlich befragen, wie wir so blöd sein konnten, darauf hereinzufallen.

Michael Sailer, www.manova.news