Eigentlich wollte ich mitten in der Nacht sein Haus anzünden. Ich war mir nur noch nicht ganz schlüssig darüber, ob ich ihm vorher telefonisch Bescheid gesagt hätte. Ich konnte das Benzin schon riechen, das ich um die Fassade herum verteilt und verspritzt hätte. Konnte das Geräusch schon hören, wie es sich entzündet und wie es dabei leidenschaftlich faucht wie ein Panther beim Angriff. Innerhalb von wenigen Minuten würde das ganze Haus in Flammen stehen und die Feuerwehr würde natürlich viel zu spät kommen. Ich weiß schon, diese ganze Feuernummer ist immer ein Akt der Verzweiflung und ein Hilfeschrei aus tiefster Seele. Aber er hatte sich mein Vertrauen erschlichen, um an meine Freundin ranzukommen und sich anschließend ihr Vertrauen erschlichen, um mit ihr zu schlafen. Und das ging mir einfach gegen den Strich. Eigentlich untertreibe ich schamlos, denn ich war eifersüchtig und wütend, wie ich es zuvor und danach niemals gewesen bin. Sein Haus war übrigens auch das Einzige, das ich jemals anzünden wollte. Ich bin sonst nicht so. So etwas macht man einfach nicht.
Es gibt bestimmt andere Menschen mit anders gepolten Genen und einer viel niedrigeren Hemmschwelle, die das dann einfach tun. Und am nächsten oder übernächsten Tag steht es in der Zeitung. Auf diese Leute kann man dann mit dem Finger zeigen und moralisch eindeutig besser dastehen. Von wegen „die sind wirklich böse und ich nicht…!“ Vermutlich ist es aber tatsächlich nur das eine oder andere Gen und die entsprechende Hemmschwelle, die uns unterscheidet von solchen Leuten die plötzlich karmisch in so einer Wahnsinns-Tat drinstecken. Wenn ich damals an den entsprechenden Abenden und Nächten, an denen ich zumindest die Kontrolle über meine Gedanken und Emotionen (wenn schon nicht über mein Handeln) verloren hatte, von Alkohol zugedröhnt gewesen wäre und dadurch meine Hemmschwellen im Gehirn entsprechend manipuliert hätte?! Was wäre dann gewesen?
Ich geb’s zu, sein Angesicht würde heute noch ein inneres Knurren in mir auslösen. Dann käme es halt auf den aktuellen Gemütszustand an, bzw. wie gut oder schlecht ich grad drauf bin, ob dieses Angesicht mich emotional weiter beschäftigen würde. Feuer würde ich inzwischen wohl keins mehr brennen sehen. Das wäre dann doch ziemlich absurd. Könnte ich jetzt mit meiner inzwischen gereiften und erwachsenen, spirituellen und hoffnungslos individuellen Persönlichkeit nicht mehr so ganz vereinbaren. Aber wehe, wenn dieses Arschloch seinen Mund öffnen und aus diesem etwas auch nur annähernd Blödes bis Unangemessenes rauskommen würde, dann könnte es schon leicht und durchaus sein, dass ich wieder dieses Zucken in der Faust spüre. Oh! Entschuldigung! Denn die Wut verwandelt sich schließlich in Mitgefühl und in segensreiche, freudige Gedanken des gegenseitigen Wohlwollens. Um diesen Zustand der gelassenen, geistigen Reife zu erlangen, werde ich aber wahrscheinlich noch einige Jahre in einem abgelegenen, buddhistischen Kloster drauflegen müssen. Aber wehe, dieser Typ kommt dann plötzlich zufällig dort vorbei?!!
Der wohl bekannteste und beste Roman über das Phänomen der Rache dürfte wohl „Der Graf von Monte Christo“ von Alexandre Dumas sein. Sowohl in diesem Wälzer als auch in den besten der mittlerweile 28 Verfilmungen dieses zeitlosen Stoffes ist es geradezu ein Vergnügen, dem Hauptdarsteller, nach 14 Jahren unschuldig im Kerker, beim detailliert durchgeplanten Rachefeldzug gegen die bösen Verursacher seiner Verhaftung zu folgen. Aufgrund des grenzwertigen Leidens und der himmelschreienden Ungerechtigkeit, die ihm widerfahren war, ist die anschließende Rache nur umso süßer und befreiender. Ein Schuft, der es an dieser Stelle besser wüsste und entsprechend rationalisieren und neunmalklug daherreden würde. Natürlich wissen wir nicht, wie das Ganze aus kosmischer Sicht betrachtet und beurteilt wird, da der Protagonist nach seiner Befreiung gleich solchen positiven Rückenwind genoss. Da hat das Schicksal aber nach allen Seiten hin erstaunlich zugeschlagen. Und jegliche Moral liegt ihm natürlich zu Füßen. Ähnliche Geschichten pflastern geradezu die Weltliteratur und die Filmgeschichte der vergangenen 150 Jahre. Letztlich aber hilft, befreit und beglückt, die schönste Rache auch nur für den Moment. Langfristig möchte ein solches Karma schon vollständig aufgelöst werden. Sonst widerfährt dem Graf womöglich irgendwann eine blöde Wiedergeburt und der ganze Wahnsinn beginnt von Neuem.
Ich selbst war voller Hoffnung, als ich mich in den 90iger Jahren sehr intensiv mit diesem Thema beschäftigte. Als Reinkarnationstherapeut begleitete ich zahlreiche Menschen durch die Abgründe vergangener Leben auf der Spur nach ursächlichen Geschehnissen für aktuelles Leid und dem entsprechenden Blues. Gerne erinnere ich mich an jene Sitzung mit einer Autorin, die sich ständig von Lärm bedroht fühlte. Egal, ob sie in den Urlaub fuhr, konzentriert arbeitete, einen Umzug wagte oder bei Freunden zu Besuch war, immer fand sie schrecklichsten Lärm vor, fühlte sich dadurch gequält und litt unsäglich darunter. In der Sitzung wühlten wir uns mit Hilfe der uns führenden, hohen Lichtwesen durch die entsprechenden Erlebnisse und Emotionen, bis der Weg für eine erfolgreiche Rückführung frei war. Schließlich tauchten Bilder aus einer längst vergangenen Geschichte eines vergangenen Lebens auf. Ein junges Mädchen wurde verfolgt und war auf der Flucht. Aus welchem Grund auch immer. Im Zweifelsfall irgendwas mit Sex und Eifersucht oder Heilkräuter oder Hexerei. Schließlich fand sie Unterschlupf in einem verlassenen Fuchsbau mitten im Wald. Jedes kleinste Geräusch dort war lebensbedrohlich und daher quälender Lärm. Schließlich ließen wir uns Licht schicken, um diese Geschichte und das entsprechende Muster bzw. die Bindung an dieses Past-Life aufzulösen. Sie musste sich nicht einmal an irgendjemandem rächen. Es war einfach die richtige Session zur richtigen Zeit. Aus kosmischer Sicht war offenbar grünes Licht, um diese wirklich fiese Angelegenheit endlich aufzulösen.
Schliesslich erzählte mir mein spiritueller Lehrer in dieser Inkarnation, dass jetzt die Möglichkeit bestünde, alle diese scheußlichen Einflüsse aus vergangenen, grauslichen Leben auf diesem gefährlichen Planeten aufzulösen. Hurra! Und schon flogen sie mir alle um die Ohren. Insofern konnten diese Figuren, die solch schräge Geschichten und die entsprechenden Rachegelüste bei mir auslösten, auch nicht wirklich etwas dafür. Die Herausforderung bestand also darin, diese Dinge möglichst aufzulösen oder zu integrieren und nicht mehr erneut schlimmes Karma aufzuhäufen. Was bisher zum Teil klappte und zu einem anderen Teil eben nicht. Typisch Leben eben, wie es vermutlich mein sehr geschätzter Kollege Thomas Schmelzer ausdrücken würde, dessen Film über „Wiedergeburt“ schließlich einen begehrten Publikumspreis beim Cosmic Cine Festival in München erhalten hatte. Ist doch erstaunlich, wen man so trifft in dieser bemerkenswerten Zeit voll neuer Hoffnung. Natürlich ist das alles ziemlich esoterischer Stoff, aber andererseits – und da gebe ich Thomas Schmelzer gerne wieder recht – nichts anderes als „Leben eben“ als Mensch auf diesem Planeten Erde in dieser spannenden Übergangszeit.
Das Prinzip der Rache ist daher im besten Sinne menschlich mit einem gewissen Unterhaltungswert. Das Universum macht gleichzeitig ein geheimnisvolles Rätsel daraus, wann es nun angebracht ist, diesen Impulsen zu folgen und wann es eher unangemessen ist. Ein erwachter Buddha, so sagt man, würde selbst bei einem Mord kein weiteres Karma anhäufen.
Die Menschen reden gern vom Erwachen, aber ein richtiger Buddha befindet sich nur selten unter ihnen. Und ein Freibrief für unangemessenes Handeln sollte das mit dem Erwachen eher nicht sein.
Vismay Georg Huber,
„Das ABC für hoffnungslose Individualisten“
erscheint 2025.