Die westliche „Wertegemeinschaft“ misst chronisch mit zweierlei Maß. Würden sich andere Länder nur annähernd herausnehmen, was bei den NATO-Staaten Usus ist, der Aufschrei in den Medien wäre groß. Die USA jedoch, die bei weitem kriegerischste Macht nach dem Zweiten Weltkrieg, haben es vermocht, in ihrem Einflussbereich noch immer als wohlwollende, moralisch integre Schutzmacht dazustehen. Selbst an Millionen Toten scheint sich niemand zu stören. Wie ist so etwas möglich?
Die Leitmedien haben immer wieder für Kriege getrommelt und gleichzeitig die vielen Opfer des US-Imperialismus verschleiert.
Leitmedien wie die New York Times versagten auch vor dem Angriff auf den Irak, als sie die Lüge mit den Massenvernichtungswaffen verbreiteten. „Das Ganze lief damals so ab“, erklärt Ray McGovern, der von 1963 bis 1990 bei der CIA in der Abteilung für internationale Analysen arbeitete und sich danach der US-Friedensbewegung anschloss:
„Anfang September 2002 übergab das Weiße Haus Michael Gordon, Journalist der New York Times, einen Bericht, in dem es hieß, Aluminiumröhren, die nur zur Uran-Anreicherung genutzt werden könnten, seien auf dem Weg in den Irak und das sei ein sicheres Zeichen dafür, dass Saddam Hussein an der Atombombe arbeite — obwohl klar war, dass es sich dabei um Artillerie-Rohre handelte. Zwei Tage später erschien die Story in der New York Times auf der Titelseite. Am selben Tag saß Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice in verschiedenen Fernsehtalkshows, wo sie dann stets auf den New York Times-Artikel angesprochen wurde. Sie erklärte daraufhin, man habe selbst auch solche Informationen erhalten, die Entwicklung sei sehr, sehr gefährlich und man wolle vermeiden, dass der Beweis für das irakische Atomwaffenprogramm eines Tages in Form eines Atompilzes daherkomme. Das Weiße Haus übergab also einen Bericht an Michael Gordon, der setzte das dann in die New York Times, und das Weiße Haus erklärte daraufhin, man könne den New York Times-Bericht bestätigen“ .
Durch solche Tricks wurde die US-Bevölkerung in Angst versetzt und auf den Krieg vorbereitet, den Präsident Bush im März 2003 vom Zaun brach. Später stellte sich heraus, dass es keine ABC-Waffen im Irak gab. Das ganze Gerede über Massenvernichtungswaffen und auch über eine angebliche Verbindung von Saddam Hussein mit 9/11 war alles nur Lüge. Zumindest US-Außenminister Colin Powell entschuldigte sich später für die Kriegspropaganda, die er vor der UNO in New York vor dem Krieg verbreitet hatte, und erklärte 2005, er fühle sich „furchtbar“, dass er damals die ganze Welt angelogen habe. Diese Rede, so Powell zum US-Fernsehsender ABC, sei ein „Schandfleck“ in seiner politischen Karriere, das sei „schmerzhaft“.
Der Brite Harold Pinter kennt als Theaterautor die Techniken der Massenkommunikation und nannte die US-Kriegspropaganda und den Angriff auf den Irak einen „Banditenakt“, als er 2005 in Oslo den Nobelpreis für Literatur erhielt. „In diesen Ländern hat es Hunderttausende von Toten gegeben. Hat es sie wirklich gegeben? Und sind sie wirklich alle der US-Außenpolitik zuzuschreiben?“, fragte Pinter sein erlesenes Publikum, das ob der Klarheit der Worte des Preisträgers überrascht und irritiert war.
„Die Antwort lautet ja. Es hat sie gegeben, und sie sind der amerikanischen Außenpolitik zuzuschreiben. Aber davon weiß man natürlich nichts. Es ist nie passiert. Nichts ist jemals passiert. Sogar als es passierte, passierte es nicht. Es spielte keine Rolle. Es interessierte niemanden.“
Keinem anderen Land der Welt sei es in der Zeit nach 1945 gelungen, seine Verbrechen so meisterhaft zu kaschieren wie den USA.
„Die Verbrechen der Vereinigten Staaten waren systematisch, konstant, infam, unbarmherzig, aber nur sehr wenige Menschen haben wirklich darüber gesprochen“, so Pinter. „Das muss man Amerika lassen. Es hat weltweit eine ziemlich kühl operierende Machtmanipulation betrieben und sich dabei als Streiter für das universelle Gute gebärdet“, erklärte Pinter.
„Ein glänzender, sogar geistreicher, äußerst erfolgreicher Hypnoseakt. Ich behaupte, die Vereinigten Staaten ziehen die größte Show der Welt ab, ganz ohne Zweifel. Brutal, gleichgültig, verächtlich und skrupellos, aber auch ausgesprochen clever“.
Viele Menschen sind unbewusst und glauben diese Show. Aber immer mehr Menschen wachen sozusagen auf, blicken hinter die Kulissen der Machtpolitik und trauen dem Gerede über die Gutmütigkeit der US-Aussenpolitik und den angeblich so selbstlosen Kriegen des Westens nicht mehr. „Die Geschichte des Westens ist eine Geschichte brutaler Gewalt und großer Heuchelei“, erklärt auch der mutige deutsche Journalist Jürgen Todenhöfer, der viele Kriegsschauplätze besucht und vor Ort mit den betroffenen Menschen gesprochen hat.
„Nirgendwo auf der Welt kämpft der Westen für die Werte seiner Zivilisation. Sondern ausschließlich für seine kurzsichtigen Interessen. Um Macht, Märkte und Moneten. Oft mit terroristischen Methoden. Die Leiden anderer Völker und Kulturen interessieren ihn nicht“ .
Gemäß dem Psychologen Rainer Mausfeld, der an der Universität Kiel lehrte, wird beim Meinungsmanagement neben dem ständigen Wiederholen von Kernbotschaften auf Fragmentierung und Dekontextualisierung gesetzt. Dabei werden die Fakten in Fragmente, also kleine Stücke, zerlegt, sodass für den Beobachter kein Sinnzusammenhang mehr entsteht. Dadurch kann man Fakten auflösen oder unsichtbar machen. Bei der Dekontextualisierung werden Informationen aus ihrem Kontext, also Sinnzusammenhang gerissen, indem zum Beispiel verschwiegen wird, was zuvor passierte. Zudem werden die Fakten in einen neuen Kontext gesetzt, also rekontextualisiert.
Kriege sind dann plötzlich nicht mehr abscheulich und grausam, sondern ein notwendiges Übel um das Böse zu bekämpfen. Insgesamt seien die USA, nach offiziellen Angaben und Schätzungen, seit dem Zweiten Weltkrieg „durch Angriffe auf andere Länder für den Tod von 20 bis 30 Millionen Menschen verantwortlich“, so Mausfeld. Doch diese Zahlen seien kaum bekannt. „Es bedarf in der medialen Darstellung dieser Verbrechen einer beträchtlichen Fragmentierung und einer radikalen Rekontextualisierung als ‚Kampf für Demokratie und Menschenrechte‘, damit Verbrechen dieser Größenordnung sowie ihre geschichtliche Kontinuität für die Öffentlichkeit nahezu unsichtbar werden. Obwohl all dies ausführlich dokumentiert ist, sind diese Verbrechen im öffentlichen Bewusstsein so gut wie nicht präsent“, erklärt Mausfeld.
Die Menschen in Nordamerika und Europa werden täglich mit News, Sport, Werbung und einer Flut von oft unnützen Informationen zugeschüttet und viele fühlen sich daher über alles Wesentliche unterrichtet.
„Die Bürger, die beim Frühstück die Süddeutsche Zeitung lesen, nachmittags in Spiegel Online schauen und sich abends die Tagesschau ansehen, sind im Gefühl umfassender Informiertheit so selbstzufrieden, dass sie die Krankheit, an der sie leiden … nicht einmal mehr erkennen können“, erläutert Mausfeld.
Die Krankheit ist die Illusion des Informiertseins. Erzeugt wird sie durch andauernden und unkritischen Medienkonsum. Zum Glück ist diese Krankheit aber heilbar. Jeder kann selbst entscheiden, weniger Medien zu konsumieren. Denn wer eine Mediendiät macht, nimmt auch weniger Kriegspropaganda auf. Gerade wenn man niedergeschlagen und traurig ist, kann eine Mediendiät helfen, kombiniert mit guter Ernährung, Gesprächen mit Freunden und langen Aufenthalten in der Natur. Zudem ist es ratsam, statt News spannende Bücher zu lesen. Denn News sind fragmentiert, daher kann man sich nur schlecht an die News erinnern, die man vor einer Woche gelesen oder gehört hat. Lange Sachbücher hingegen liefern Kontext und mehrere Beispiele zum selben Thema, wodurch die Information im Gehirn vernetzt und dadurch viel besser abgespeichert wird.
Wer auf Deutsch liest, hat rund 80 Medienmarken zur Auswahl, darunter Leitmedien wie ARD, ZDF, Spiegel, Neue Zürcher Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Die Zeit und Frankfurter Allgemeine Zeitung. Wie im englischen Sprachraum gibt es aber auch auf Deutsch alternative Medienmarken, die dem US-Imperialismus kritisch gegenüberstehen, darunter Rubikon, KenFM, Nachdenkseiten, Free21, Cashkurs, Sputnik, RT Deutsch, Telepolis und Infosperber. Der Medien-Navigator von Swiss Propaganda Research gibt über die verschiedenen Marken einen nützlichen Überblick.
Wenn man als Historiker auf eine Geschichte fokussiert und die Berichte der Leitmedien mit den alternativen Medien vergleicht, fällt sofort auf, dass zum Beispiel Der Spiegel über die Terroranschläge vom 11. September genau so berichtet wie vom US-Präsidenten vorgeschrieben und keine kritischen Fragen zulässt, während Rubikon und KenFM ihre Leser auf die Sprengung von WTC7 hinweisen und den sogenannten „Krieg gegen den Terror” als Täuschungsmanöver ablehnen. Persönlich schätze ich die Arbeit von mutigen Journalisten in den Leitmedien, die den vorgegebenen Meinungskorridor verlassen, sowie die alternativen Medien, weil sie dem Frieden verpflichtet sind.
Daniele Ganser, 2020, www.danieleganser.ch